Sind Ihre Mitarbeiter reif für agiles Arbeiten? (1)
Passen Kommunikation und Teamfähigkeit?
Wer heute im Business up-to-date sein will arbeitet agil! Denn Agile Arbeitsmethoden sind in aller Munde. Sie heißen SCRUM, Design Thinking oder Kanban. Oder sie fallen unter die Überschriften New Work, Holokratie und Empowerment. Oder es sind schon ältere Hüte a la KVP, Kaizen, TQM, Lean Management. Sie alle versprechen so wahnsinnig viel: Schnelle Reaktion auf Veränderung, Intelligente Lösungen für unsere Probleme, Einbindung der Mitarbeiter und dadurch ungeahntes Ausmaß an Identifikation, Loyalität, Engagement. Viele Geschäftsführer hören davon, sind begeistert von der Idee und führen die Methoden sofort ein. Doch dann scheitern viele Unternehmen sehr schnell damit. Schuld sind natürlich die Mitarbeiter. Aber vielleicht hat vorher niemand gefragt, was Mitarbeiter und Unternehmen brauchen, damit Agilität funktioniert.
Was ist eigentlich agiles Arbeiten?
Das Wort Agilität bedeutet annähernd „Schnelle Reaktion auf Veränderung“. Und genau das ist heute wichtiger denn je. Die Arbeitswelt verändert sich gerade rasant. Nicht nur, dass das Silicon Valley uns mit seinem Digitalisierungs-Drive vor sich hertreibt. Wir leben wir in einer VUKA-Welt (volatil, unsicher, komplex, Ambiguität). Wir erleben in zahlreichen Branchen den sogenannten Disruptiven Wandel. Neue Geschäftsmodelle verändern einen Markt mit angestammten Big Playern praktisch über Nacht; so wie Uber den Taximarkt und Airbnb den Übernachtungsmarkt. All das verlangt von Unternehmen, die heute zu den Gewinnern zählen wollen, extrem schnelle Reaktionen und bahnbrechende Innovationen. Doch Spitzenideen in dieser Menge und notwendigen Qualität, das schaffen Führungskräfte nicht allein. Erst agile Methoden schaffen den notwendigen permanenten Dialog, und das ständige Generieren neuer Ideen.
Die Bezeichnung Agilität geht zurück auf das Agile Manifest, eine Erklärung die eine Hand voll Softwareentwickler aufgestellt haben (bei einem Treffen von Softwareentwicklern rund um Kent Beck 2001 in Utah). Im Fall der Softwareentwicklung war das Ausgangsproblem die Erfahrung, dass Softwareprojekte nach der klassischen Wasserfall-Projektmanagement-Methode immer hinter dem Zeitplan waren, immer mehr gekostet haben als geplant und am Ende der Bedarf zum Zeitpunkt des Projektauftrages (und Pflichtenheftes) ein deutlich anderer war, als der Bedarf zum Zeitpunkt der Auslieferung der Software. Bis eine Software fertig war, hatte die Welt sich bereits mehrfach verändert. Folgerichtig beschäftigt sich das Agile Manifest in ihren 12 bei Wikipedia aufgelisteten Prinzipien, mit Ideen, wie man schneller, noch während des Entwicklungsprozesses, auf Veränderung reagieren kann. Beispielhaft seinen hier 3 Grundsätze genannt:
Reaktion auf Veränderung ist wichtiger, als Befolgen eines Plans.
Individuen und Interaktion sind wichtiger als Prozesse und Tools.
Schnelle Lieferung (z.B. eines funktionierenden Teils einer Software) ist wichtiger als Lieferung eines perfekt ausgereiften kompletten Produktes.
Geht man einen Schritt weiter, also weg von der Softwareentwicklung, hin zur heutigen Arbeitswelt, haben alle oben genannten agilen Methoden eines gemeinsam. Sie wollen die kollektive Intelligenz einer Gruppe von Mitarbeitern nutzen. Dahinter steht die Überzeugung, dass eine Gruppe in den meisten Fällen qualitativ höherwertige Problemlösungen hervorbringt, als der intelligenteste Mitarbeiter dieser Gruppe allein. Entsprechend werden Mitarbeiter aller Ebenen in Gruppenarbeiten geschickt, um Probleme zu lösen. Hier wird nach bestimmten Regeln, aber möglichst ohne hierarchische Grenzen, diskutiert, gebrainstormt, angereichert, verbessert, Feedback gegeben (mehr über wirksame Teamworkshops). Der Chef, der bisher immer die beste Lösung wissen musste, und Entscheidungen als einsamer Wolf trifft, ist nicht agil genug für die heutige Arbeitswelt. Beweise gefällig?
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In meinen Team-Trainings finden immer wieder Teamübungen statt, in denen Teams herausfordernde Probleme lösen sollen (z.B. sollen alle Teilnehmer schnellstmöglich mit dem gesamt Körper durch einen Gymnastikreifen steigen). Die Lösung kommt immer erst, wenn alle gemeinsam das Problem diskutieren, wenn Ideen eines Mitarbeiters durch Ideen des nächsten Mitarbeiters gemeinsam angereichert und weiterentwickelt werden, wenn man sich iterativ der bestmöglichen Lösung nähert. Das spannende daran: oft brauchen Gruppen mit mutmaßlich intelligenteren Teilnehmern (Führungskräfte, Ingenieure) länger, oder tun sich schwerer, als Gruppen mit einfachen Bildungsabschlüssen oder Berufsausbildungen. Es ist aber letztlich kein Thema von Beruf oder Intelligenz. Der Nobelpreisträger Francis Crick (für die Entdeckung der Doppelhelix-Struktur der DNA) wurde nach der Preisverleihung 1962 von Journalisten gefragt, wie es ihm und seinem Partner gelingen konnte, schneller zu sein, als die Konkurrenz im Ausland. Seine Antwort: „weil wir nicht die Intelligentesten waren“. So hatten Crick und Watson ihre Ideen mit jedem Wissenschaftler diskutiert, der sich nicht schnell genug entziehen konnte. Diskussion schlägt Einzelleistung. Das Prinzip „Meinungsverschiedenheit“: Wenn 2 in einem Raum einer Meinung sind, ist einer überflüssig! Während sich die intelligenteste Konkurrentin Rosalind Franklin genau dieser offenen Diskussion entzog. Sie fand keinen „geeigneten“, ihr gewachsenen Diskussionspartner. So war sie zu langsam, nicht agil genug, sie verlor letztlich das Rennen um diese fundamentale Entdeckung.
Letztlich stehen auch schon recht alte Management-Methoden in Verbindung mit agilen Prinzipien. So hat sich Toyota mit seinem Toyota Production System (TPS oder auch Lean Management) seit ca. 1970 von einem kleinen Lieferanten eines schäbigen Kleinwagens in nur 30 Jahren (2003) zum Weltmarktführer im Automobilmarkt entwickelt. Einer der Hebel des TPS ist der Kontinuierliche Verbesserungsprozess (Kaizen), bei dem Verbesserungsideen an der Basis eingesammelt werden. Arbeiter am Band, Produktionsteams auf unterster Hierarchiestufe, diejenigen, die am nächsten am Problem sind, geben ihren Managern Hinweise, wie Qualitätsprobleme besser zu lösen sind.
Zu ähnlichem Zeitpunkt führte der angesehene Manager Jack Welch beim Weltkonzern Generel Electric den bahnbrechenden Work-Out Prozess ein, bei dem sich Top-Manager den Ideen der Produktionsmitarbeiter zu stellen hatten. Schon Jack Welchs Vorgänger als CEO bei General Electric wird ein denkwürdigen Akt nachgesagt: In einer Situation, in der das gesamte Management-Team einmal einer Meinung war, soll er gesagt haben: „Dann treffen wir heute keine Entscheidung, und kommen wieder zusammen, wenn wir Gelegenheit hatten, zu dieser Sache unterschiedliche Standpunkte zu entwickeln.“ Im Diskurs liegt ein großer Wert.
Schon seit Jahrzehnten vor dem Begriff der Agilität haben Werbeagenturen (ich habe selbst in einer gearbeitet) Brainstormings mit vielen Mitarbeitern gemacht, um die kreativsten Werbe-Ideen zu generieren. Die Idee dahinter: kein kreativer Kopf ist so gut, dass seine erste Idee die beste ist. Tolle Ideen entstehen dort schon immer aus einer Menge verrückter Geistesblitze, von denen dann die vielversprechendsten in der gemeinsamen Diskussion weiterentwickelt werden.
Zu dieser Basis kamen schließlich immer mehr Erkenntnisse über die Arbeitsmotivation von Menschen. Alle Menschen haben Bedürfnis nach einem Sinn (in ihrer Arbeit/in ihrem Leben), der größer ist als reines Profitstreben, ein Bedürfnis danach einen Beitrag zu leisten. Aber auch das Bedürfnis gefragt zu werden, sich einzubringen, sowie nach einem höheren Maß an Selbstbestimmung. Auch der Erkenntnisgegenstand „Führung“ wurde immer tiefer erforscht. Besonders erfolgversprechend zeigten sich Konzepte der visionären Führung, der transformationalen Führung und der partizipativen Führung bei der die Führungskraft weitgehend auf Befehle und Machtausübung verzichtet und sich eher auf der Eben der Mitarbeiter, nur mit anderen Aufgaben, sieht. Schließlich sorgte die Generation Y mit Ihrem Wunsch nach viel Teamarbeit und dem Ablehnen von Hierarchien dafür, dass das Führungsmodell, dass das die letzten 6000 Jahre bis in die späten 90er noch praktiziert wurde – Befehl und Gehorsam – immer mehr zum Auslaufmodell wurde.
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Der jüngste Spross dieser Entwicklung: New Work!
Bei dem Spiele-Hersteller Valve organisieren sich Teams weitgehend selbst. Ein Mitarbeiter entscheidet selbst, an welchen Projekten er sich beteiligt. Bei Netflix entscheidet kein Vorgesetzter und kein Gremium, ob für etwas Geld ausgegeben wird. Es gilt der Grundsatz: „Act in the best intrest of Netflix“. Bei Google werden Projekte gezielt hierarchieübergreifend besetzt. Bei der Werbeagentur XYZ entscheiden Mitarbeiter selbst, wieviel Urlaub sie haben. Bei den Systelios Kliniken in Heidelberg werden Mitarbeiter selbst in strategische Entscheidungen der Unternehmensführung eingebunden. Bei Haufe Umantis lassen sich sämtliche Führungskräfte, bis hin zum Geschäftsführer für einen begrenzten Zeitraum in Ihre Funktion wählen und gegebenenfalls wiederwählen, oder eben auch nicht. Die Liste der Beispiele wird immer länger. New Work, das sind teils experimentell anmutende Organisationskonzepte mit einem oder mehreren der folgenden Kennzeichen:
- Weitgehender Verzicht auf Hierarchien
- Ein höherer Sinn, ein Beitrag für die Gesellschaft hat höhere Bedeutung als Profit
- Hohe Selbstverantwortung und Selbstorganisation der Teams
- Leitungsfunktion auf Zeit, ggf. vom Team gewählt
- Entscheidungen und Verantwortung liegen bei dem, der am nächsten am Problem ist, möglichst weit unten in der Hierarchie
- Maximale Transparenz für alle, (Finanz-)Kennzahlen des Unternehmens sind allen bekannt
- Weitgehender Verzicht auf Kontrolle (z.B. bei Arbeitsstunden, Urlaubstage, Reisekosten, Nutzung Firmenkreditkarte, Spesenabrechnungen, usw. gilt das Prinzip „Die Firma vertraut dir!“)
- Netzwerk statt Hierarchie und Silos
- Große Freiheitsgrade bezüglich „was“ (Aufgaben), „wann“ (Arbeitszeitregelung), mit wem (Teamzusammensetzung), „wie“ (Selbstorganisation), wo (Ort der Arbeit)
- Arbeit muss den Mitarbeitern Spaß machen, hohe Zufriedenheit der Mitarbeiter hat hohen Stellenwert
- Regelmäßig entrümpeln (siehe Sorten der Verschwendung im Toyota Production System)
- Agile Arbeitswesen in wechselnden Teams
Aber funktioniert das alles?
Was hier teils idealistisch und experimentell klingt funktioniert mal mehr, mal weniger gut. Viele Unternehmen zeigen sich begeistert (siehe Dokumentation augenhoehe-film.de). Aber belastbare Zahlen gibt es bisher kaum (sieht man mal von den Erfolgen bei General Electric, Toyota und Google ab). Auch der „Erfinder“ von Scrum schildert Fälle, in denen er Probleme mit einem Zehntel des Teams, mit einem Zehntel des Geldes und in einem Zehntel der Zeit gelöst haben will. Aber in der Praxis ist das alles nicht so einfach.
Viele agile Teams scheitern schon in der ersten Zusammenarbeit. Die Diskussionen verzetteln sich. Die Mitarbeiter geraten in Streit. Manche sind empfindlich und halten Kritik nicht aus. Man findet keine Entscheidung, bis es dann doch wieder der Chef entscheidet, oder dominante Chefs überstimmen die agilen Entscheidungen, und frustrieren so ihre agilen Mitarbeiter. Hunderte von Entscheidungen und Arbeitsaufträgen werden dann doch nie umgesetzt. Einfachste Projekte schaukeln sich hoch, manches dauert ewig, politische Ränkespiele killen Engagement und den Erfolg. Die große Gefahr: alle reden mit, alle fühlen sich wohl, nichts bekommen sie gebacken.
Agiles Arbeiten braucht doch ein paar Voraussetzungen. Denn wir haben es mit Menschen zu tun. Und die haben so ihre Eigenarten, ihre Gewohnheiten, ihre Bedürfnisse. Die beteiligten Mitarbeiter müssen so einiges beherrschen, bevor sie reif sind für agiles Arbeiten:
Überblick, was Ihre Mitarbeiter dafür brauchen
- Moderationsfähigkeiten, verlangsamen der Diskussion,
- Kritikfähigkeit
- Rapport
- Freude an Meinungsverschiedenheit, Neugierde,
- Eine Vielfalt an Entscheidungsmethoden
- Selbstdisziplin
- Antreiber und Struktur
Diese Reihe behandelt alle diese Fragen, und wie Sie Ihre Mitarbeiter dahin bringen. Schließlich stellt agiles Arbeiten auch ganz neue Anforderungen an Führungskräfte. Vielleicht ein Thema für eine nächste Serie.
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Lesen Sie also auch Teil 2 dieser Reihe.
Oder beginnen Sie mit Teil 3 dieser Serie.
Teil 4 bespricht die Partizipation aller Mitarbeiter.
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Peter Rach - Team & Kommunikation
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